Nochmal etwas „unpolitisches”.

Rezension Imeneo, Operetta von Georg Friedrich Händel

Hymenaios, auf italienisch Imeneo, ist ein griechischer Göttername, von dem die Wörter Hymen und Hymne abstammen. Hören wir eine Hymne über Hymenaios und Hymen.

Hän­dels Me­lo­di­en ha­ben ei­nen mit­rei­ßen­den Schwung; Ari­en zie­hen das Be­wußt­sein in ein­fa­chen, aber packen­den Me­lo­die­bö­gen, dem Träl­lern von Nach­ti­gal­len und Hel­den in ei­nen Strom der Mu­sik. Wer sich trei­ben läßt, er­lebt ei­nen be­zau­bern­den Ein­blick in ei­ne an­de­re Epo­che. Die au­then­ti­sche Auf­füh­rung des Ime­neo bei den Hän­del­fest­spie­len will von ba­rocken Ge­sten, Tanz­ein­la­gen bis zur Ker­zen­be­leuch­tung der Auf­füh­rungs­pra­xis ei­ner fer­nen Epo­che na­he­kom­men.

Wie eine junge Frauenstimme mit weiblichem Schmelz unverstärkt einen Raum füllt, Ohren lauschen und Augen blicken läßt, getragen von Händels Musik in den Raum strahlt, worauf der Fokus zu anderen Darstellern wechselt, die den Raum genauso füllen und die Aufmerksamkeit an sich ziehen in einem kunstvollen Wechselspiel, ist interessant zu erleben. Womöglich kann es als musikalischer Ausdruck des Tauschsystems traditioneller Kultur gedeutet werden. Jeder spielt seine Rolle und wartet auf seinen punktgenauen Einsatz. Wer zur falschen Zeit sänge, würde die Aufführung zerstören. Musik entsteht nicht durch hemmungslosen Individualismus, sondern durch Zusammenspiel vieler Musiker zu einem Gesamtkunstwerk. Würde einer sagen, „Ich habe keine Lust, F zu singen, ich singe lieber Fis”, wäre der Spaß vorbei.

Auch die Handzeichen und Bewegungen sind abgestimmt. Damit eine Person ihre Aussage treffen kann, treten die anderen zurück und machen unterstützende Hintergrundgesten, um danach zu wechseln und anderen ihren Auftritt zu ermöglichen.

Solche zeremoniellen Auftritte mit Musik und sprechenden Händen erinnern an Opern anderer Hochkulturen: Pekingoper, Handgesten im indischen Ramayana und anderen hinduistischen Epen Indiens, Indonesiens und Indochinas. Es scheint ein gemeinsamer Zug dieser Hochkulturen zu sein, der nur anders ausgeprägt war. Heute mag Barocksymbolik uns fast so fremd erscheinen wie entsprechende musiktänzerische Künste des Hinduismus oder Chinas. Doch Musik, Ausdruck und Lyrik überbrücken die Zeit und ziehen uns hinein, wenn wir uns darauf einlassen. Denn unterschwellig ist uns manches vertraut.

Die Werkeinführung erwähnte die Ergänzung der Geschlechter, die von der Ehe vermittelt werde. (Das ist zuwenig: In einer Kultur muß die Ergänzung alle umfassen, nicht nur ein Paar, damit sie funktionieren kann.)

Eindrucksvoll sind Stimmen und Charaktere, die mit Schauspiel und ihrer Stimme unverstärkt den Raum füllen, junge Frauen, deren Nachtigallenstimmen bis in die Ränge wohllautend durchdringen, Männer mit ebenso markanten Baßstimmen. Von einzeln hingesetzten Tönen bis zum Geschmetter oder Nachtigallenträllern bieten sie musikalisch und schauspielerisch eine weite Bandbreite dar.

Laut Werkeinführung (künftig in Anführungszeichen „” zitiert) sind die Kastratenstimmen feinfühliger und komplexer als die Baßstimme komponiert. Damit haben wir auch schon ein weiteres Problem: Einige Jungen mußten sich früher kastrieren lassen, um solche Partien später singen zu können. An solche Grausamkeit erinnern sich wenige, denn wir nehmen nur Frauen als Opfer war, selbst wenn sie bevorzugt sind. Das Publikum jener Zeit erwartete Heldentenöre, die oft von Kastraten gesungen werden mußten, und die Rolle des jungen Liebhabers einnahmen.1

Damit ist sogar die Zeit des Barock, vor der neuerlichen Welle von Misandrie und Rollenverwirrung, die Sattelzeit, französische Revolution und Nationalstaat mit sich brachten, kein Rettungsanker gegen Genderei und feministische Rollenverwirrung. Denn diese gab es bereits im Barock. Junge Mädchen schwärmten für Heldentenöre und Kastraten, wogegen die Baßstimmen laut Werkeinführung bei den Händelfestspielen nicht nur gröber komponiert waren, sondern auch zu oft negativ besetzten Rollen („Schurken und Väter”) gehörten, jedenfalls Nebenrollen, fast nie zu der des Liebhabers. Auch in Imeneo ist die „differenziertere und anmutigere” Rolle des eigentlichen Geliebten für einen Kastraten geschrieben, die plumpere Rolle als Baß. Ursprünglich sollte der Gott und Bräutigam von einem Tenor gesungen werden, wie in der Epoche und allen anderen Opern Händels. Nur aufgrund eines Zufalls, daß gerade kein Tenor, wohl aber ein Baß vorhanden war, wurde die Oper für die Aufführung umgeschrieben.

Darin drückt sich bereits eine negative Wertung der männlich tieferen Stimme, des Basses, in der Barockzeit aus. Er steht für Nebenrollen und eher für Schurken – und für Väter, die somit nebenbei auch zweifach abgewertet sind (als „Nebenrolle” und möglicher „Schurke”). Daß Mädchen und junge Frauen für Kastraten schwärmen, oder Helden, die mit viel Stimmkunst wie Kastraten singen, spricht für sich: Männlichkeit wurde sogar beim Verlieben auf Barockbühnen schon negativ besetzt.

Weibische Bühnendarstellungen von Männern gab es schon im Barock und waren anscheinend der Schwarm von Frauen. Bereits damals lief etwas verkehrt. Es geht schon in die Richtung eines Michael Jackson, der seiner Schwester zunehmend mehr ähnelte, von dem viele sagen, er habe seine Kinder nicht selbst gezeugt, und der ohne seine Berühmtheit wegen unaussprechlichen Vorfällen mit kleinen Jungen wohl im Gefängnis gelandet wäre.

Die Kastratenstimmen bieten ein weiteres Problem. Da es wenige Männer gibt, die sie mit kunstvoll geübten und etwas bemüht klingenden Falsettstimmen hinbekommen, singen heute häufig Frauen die Rolle des männlichen Verehrers und Heldentenors. In Zeiten genderfluider Ideologie ist das nicht gerade die Rettung in gesündere Verhältnisse.

Es ließe sich einwenden, daß auch die Zeit Shakespeares zwischen Renaissance und Frühbarock offensichtlich keinen Ausweg bietet: Man denke an den Mittsommernachtstraum, der intensiv mit „Junge verkleidet sich als Mädchen, das sich als Junge verkleidet” die Rollenspiegelung sogar spielerisch auf die Spitze treibt, freilich nur als Theaterspiel, nicht in ideologischer Absicht. Ich mag rennen so schnell und weit ich kann; überall heißt es „Ick bin schon da” wie in der Fabel vom Igel und Hasen.

Doch sogar in die authentischste Aufführung mischt sich allgegenwärtige Genderei: von Piratinnen und Schwertkämpferinnen bis zu männlichen Schönlingen, die in Tanzeinlagen durch diese Inszenierung als androgyne, weibische Tänzer schweben. Musikalisch ist diese Ergänzung hervorragend gelungen. Daß ein stärker als Mann verkleideter Pirat eine weniger männlich verkleidete Frau in den Po kneift, könnte als gender-feministische Einlage gewertet werden, die einmal die Geschlechterrollen verwirrt, weil Frauen Männerrollen spielen, um dann in der Männerrolle in einer deftigen Weise ‚weiblich’ behandelt zu werden, worin ein unterschwelliger Seitenhieb gesehen werden kann. Allerdings gab es ein Spiel mit Rollen bereits im Mittsommernachtstraum Shakespeares aus der Übergangszeit von Renaissance zu Barock, vertont als Oper von Purcell im Frühbarock.

Imeneo handelt von weiblicher Wahl. Die Frau muß sich zwischen zwei Verehrern entscheiden. Dabei wird gleichzeitig die Wahl zwischen Liebesheirat und Vernunftehe getroffen, zu der ihr geraten wird. In der Händeloper fällt ihre Entscheidung noch für die Vernunftehe. Heute gibt es weder Vernunft noch echte Liebe mehr. Vernunft wurde ideologisiert, und Liebe zur egoistischen Anforderung.

Nachtrag: Dies war ein Auszug aus meinem Buch „Anmache”; Band 2 der Reihe „Weibliche Wahlmacht”, das damals noch keinen Verlag hatte, zeitweise in einem Verlag erschien, nun wieder bei mir erhältlich ist.

Fußnote

1 Insofern bestätigt dieses Liebesduett die Idee der Besetzung der Liebhaberrollen mit hohen Stimmen, in alter, wie in neuer Zeit.[11]

11: Silke Leopold: Händel. Die Opern. Bärenreiter-Verlag, Kassel 2009, ISBN 978-3-7618-1991-3, S. 165 ff. (https://de.wikipedia.org/wiki/Imeneo)